Auf dem Gelände und in den Gebäuden des Gymnasiums Schloss Overhagen gibt es viele Kunstwerke zu entdecken. In der Pausenhalle findet man kleinere Arbeiten. Dort werden aktuelle Bilder ausgestellt, die die Schüler aller Altersstufen im Kunstunterricht angefertigt haben.
Beeindruckend ist dabei die Vielfalt, die bei der Interpretation eines vorgegeben Themas entsteht. Überall – in allen Gängen, Ecken und Winkeln stößt man auch auf größere Werke. Einige stehen im Park oder hängen sogar in den Bäumen. Diese Arbeiten haben Schüler*innen vieler Abiturjahrgänge erdacht und geschaffen. Besucher sehen phantasievolle Installationen und farbenprächtige Wandbilder. Der Kunstlehrer Ulrich Haverland „sieht“ noch Anderes. Jedes der Werke öffnet für ihn ein Fenster in die Vergangenheit: auf die ganze Geschichte des Projektes, die Geschichten der jungen Menschen dahinter und wie es überhaupt angefangen hat mit den Kunst-Projekten am GSO:
Morgens auf dem Weg zum Kunstraum, Raum 27, früher artig in Zweierreihen, heute eher quirlig durcheinander, stehen die Schüler vor dem großen Biologieraum, Raum 26, und warten auf ihren Lehrer. Immer wieder dieser Anblick der im Verhältnis zu ihren Schulranzen oft schmächtig wirkenden Schüler*innen mit großen, manchmal frechen, fragenden manchmal auch müden oder selten mal verweinten Augen.
Und dann der Sprung nach den Sommerferien: In der achten Klasse, plötzlich nicht mehr klein in diesem Schulbetrieb, sondern in die Höhe geschossen, nicht mehr Kind, sondern Jugendlicher.
So begleiten meine Augen über die Jahre die Lerner, die ich schließlich in der Oberstufe im Fach Kunst unterrichte. Nun erfahre ich ihre Namen, mit der Zeit auch ihre Eigenarten, die in den drei Jahren Oberstufenunterricht zur vollen Persönlichkeit aufblühen. Wie Blumen in den herrlichsten Farben entwickeln sich viele tolle Schülerpersönlichkeiten in unserer Schule, die ihnen dazu Luft zum Atmen gibt. Meine Freude, aber auch Herausforderung gilt diesen, meinen Schüler*innen.
Und plötzlich, von einem Tag auf den anderen: Nichts mehr – Leere, Stille, ein Vermissen, denn sie sind weg, haben Abitur gemacht.
Doch abfinden wollte ich mich damit nicht. Ich wollte etwas haben, das mich an meine Eleven erinnert – nicht an die Abiturjahrgänge, sondern an einzelne Schüler*innenpersönlichkeiten: wie die kritische Nura mit den tiefen braunen Augen, den modeinteressierten in der Unterstufe hyperaktiven Till, die Powerfrau Merle, die übervorsichtige Julia, den gelangweilten coolen Steffen, den melancholischen Robin oder den gewissenhaften, fleißigen Henning.
Als Kunsterzieher visuell denkend sollten es Bilder sein, nicht unbedingt Wandbilder, meinetwegen auch Videos, Rauminstallationen, Fotoarbeiten, Zeichnungen. Alles sollte möglich sein in unserer Schule als Erinnerung an die Schüler*innen, quasi als Geschenk der Abgänger*innen an die Schulgemeinschaft.
Geschenke sind freiwillig und daher gibt es zu Beginn jeden Schuljahres die Frage an den Abiturjahrgang: Wollt ihr euren Mitschüler*innen, wollt ihr dem Gymnasium Schloss Overhagen ein Geschenk machen, in Form eines Projektes, das ihr in Arbeitsgruppen über drei Monate, von Mitte August bis Mitte November, entwerft und dann in einem Reinentwurf präsentiert?
„Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul!“ gilt während der Entwurfsarbeiten nicht. Im Gegenteil: Ideen werden auf ihre Realisierbarkeit hin untersucht, Entwürfe auf ihre kompositorische Stringenz hin beurteilt. Unzählige Gespräche der Projektgruppen mit mir führen dann meist zu präsentablen, oft tollen Lösungen.
Die Begeisterung stand und steht für mich als begleitender Kunsterzieher an aller-, allererster Stelle. Denn nur leidenschaftlich können die Projekte etwas werden, nicht durch zweistündigen, wöchentlichen Kunstunterricht. Oft wurde, gerade wenn es um die Fertigstellung ging, auch nach dem Unterricht oder an Wochenenden gearbeitet.
Vor der Realisierung müssen die Entwürfe dem Schulleiter vorgestellt werden. Man hat sich mit seinem Vorhaben zu präsentieren, Stellung zu beziehen, auf kritische Fragen zu antworten. Nicht alle Projekte können umgesetzt werden. Das kann jedoch den Schülern den Stolz auf ihre Entwürfe für die Schulgemeinschaft nicht nehmen.
Unsere wunderbare, heterogene Schülerschaft, unsere engagierte Elternschaft, unser engagiertes, sich mit Overhagen identifizierendes Lehrerkollegium, die Schulsekrtärinnen und nicht zuletzt Jens, unser Hausmeister, der so manches Projekt mit seinem profunden praktischen Wissen rettet, machen diese Schulgemeinschaft aus.
Oft sind die Erfahrungen während der Realisierung grenzwertig. Manches Projekt droht zu scheitern. Die Probleme sind immer mannigfaltig und immer unvorhergesehen. Viele, viele Geschichten ranken sich über die Jahre um die Genese so mancher Arbeiten, die vielleicht zwischenzeitlich schon wieder verschwunden sind und nur noch in meinem Herzen leben. Denn wir sind kein Museum Schloss Overhagen, sondern eine lebendige Schule. Da ist Vergang, sei es durch Wasserschaden, Feuer oder nur den Zahn der Zeit, der an den Arbeiten nagt und wieder Platz für Neues schafft.
Auch wenn die Projekte erinnern sollen und das „miss you“ lindern, so richtet sich der Blick nach vorne in erwartungsfroher Vorfreude, welche Werke wohl noch entstehen werden.
Juni 2015, Ulrich Haverland